Ein Stück Rechtsstaat wird abgeschafft - und kaum jemand merkt es

 Peter Mühlbauer

Nordrhein-Westfalens Innenminister Wolf führt eine Abschreckungsgebühr ein, damit sich Bürger weniger häufig gegen bürokratische Fehlentscheidungen wehren

gericht.jpgIm November wurde in Nordrhein-Westfalen still und heimlich das Widerspruchsverfahren in den meisten Verwaltungsbereichen abgeschafft. Vor dem Inkrafttreten wurde die unter dem grob irreführenden Namen “Bürokratieabbaugesetz II” verpackte Gesetzesänderung praktisch nicht öffentlich debattiert – weder von regionalen noch von überregionalen Medien. Mit der neuen Regelung kehrt ein Stück Obrigkeitsstaat zurück: wer sich beschweren will, muss erst einmal zahlen. Und nicht zu knapp. Selbst wenn die Behörde ganz offensichtliche Fehler gemacht hat. Das schreckt ab – und das soll offenbar auch abschrecken. Ein anderer Zweck der Abschaffung des bewährten Verfahrens ist nämlich schwer denkbar, auch wenn die Regelung in ein Gesetz mit dem irreführenden Namen “Bürokratieabbaugesetz II” verpackt wurde. Tatsächlich handelt es sich nicht um den Abbau von Bürokratie, sondern um den Abbau von Rechtsstaat – und um eine gehörige Stärkung der Macht der Bürokratie.
Betroffen sind unter anderem kommunale Steuern und Gebühren (wie etwa für Abfall, Abwasser und Straßenreinigung), Baugenehmigungen, Erschließungs- und Ausbaubeitragsbescheide, Wohngeldbescheide, sowie Verwaltungsentscheidungen im Gewerbe- Gaststätten- oder Ausländerrecht. Weiterhin Widerspruch eingelegt werden kann bei Ordnungswidrigkeiten, bei Maßnahmen von Schulen und in einigen Bereichen des Sozialrechts.
Früher galt grundsätzlich, dass gegen belastende Verwaltungsakte mit scheinbaren oder tatsächlichen Fehlern meist innerhalb eines Monats bei der Behörde selbst kostenfrei Widerspruch eingelegt werden konnte. Die musste den Bescheid dann überprüfen. Das war in der Praxis keine Makulatur – in vielen Bereichen fand seit den Personaleinsparungen der 1980er und 90er Jahre eine eingehende Prüfung der Fälle aufgrund enger zeitlicher Vorgaben erst im Falle eines Widerspruchs statt. Der Beamte beziehungsweise der Angestellte entschied erst einmal zügig und im Zweifelsfall zu Ungunsten der Antragsteller. (mehr…)

Stasi 2.0

 Wenn ein Staat seine Bürger unter Generalverdacht stellt

gestapo-1.jpgAuf dem “Aktion Mensch”-Filmfestival “über morgen” ist derzeit A Scanner Darkly zu sehen, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Philip K. Dick. Nur vordergründig handelt der Animationsfilm von einer von Drogen zersetzten Gesellschaft. In Wahrheit fällt sie ihrer eigenen Paranoia zum Opfer. Ein gewaltiger Staatsapparat und seine ausführenden Organe haben nichts anderes zu tun, als unablässig zivile Risiken und Gefahren zu konstruieren - um auf diese Weise Legitimation für allumfassende Kontrolle und Ãœberwachung zu erlangen. Regisseur Richard Linklater spielt auf die Situation in den USA nach dem 11. September 2001 an, als die politische Balance zwischen Freiheit und Sicherheit aus den Fugen geriet.

Der Riss in der demokratischen Tektonik hat sich bis ins “alte Europa” fortgesetzt. Auch hier werden Persönlichkeitsrechte immer mehr zugunsten eines instrumentalisierten Sicherheitsdiskurses aufgeweicht. Jüngstes Beispiel ist die Verabschiedung des “Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen” durch den deutschen Bundesrat. Darin ist die so genannte Vorratsdatenspeicherung verankert. Ab Januar sollen die Kommunikationsdaten aller Bürger sechs Monate lang aufbewahrt werden: Alle Telefonverbindungen samt Datum, Uhrzeit und bei Mobiltelefonaten zusätzlich dem geografischen Standort. Jeglicher Verbindungsaufbau mit dem Internet. Sämtlicher E-Mail-Verkehr inklusive Absender, Empfänger und Betreffzeile sowie jeder Zugriff auf das Postfach. Und alle Fax- und SMS-Nachrichten. (mehr…)

Wohin der Weg geht

Der Beschluß der Vorratsdatenspeicherung und die absehbaren Folgen

Freace

schiller-rauber-terror.jpgAm Freitag hat der deutsche Bundestag - wie nicht anders zu erwarten, immerhin besitzt die “große Koalition” aus SPD und CDU dort die absolute Mehrheit - das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Der Fall einer kürzlich in Großbritannien verurteilten Frau kann zweifellos als Beispiel dafür dienen, wohin der Weg dieses Gesetzes führen wird. Am Freitag hatte sich die deutsche Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in einem Interview gegenüber DeutschlandRadio beklagt, daß die Informationsbasis der Bevölkerung “offenbar so schlecht” sei. Es sei ja gar nicht so, daß die Inhalte von Gesprächen, E-Mails oder sonstiger Kommunikation nun gespeichert würden. Tatsächlich werden “nur” die Verbindungsdaten - verbunden mit dem jeweiligen Standort im Falle von Mobiltelephonen - gespeichert. Genau diese Erfassung von Verbindungsdaten erscheint Berichten vom vergangenen Jahr zufolge sogar dem amerikanischen Geheimdienst NSA - sicherlich nicht wegen seiner Zurückhaltung bekannt - ausreichend. Die Folgen für den einzelnen, wenn dies mit weiteren Bestrebungen - zweifellos nicht nur der NSA - verknüpft würde, wurden hier bereits im Sommer des vergangenen Jahres erläutert.
Eine weitere Aussage Zypries’ in dem Interview kann nur als Lüge bezeichnet werden. Auf die Frage, ob “die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Selbstverständnis einer modernen Demokratie” gehöre, sagte sie: “Doch, natürlich. Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert.” In Wahrheit ist es hingegen so, daß dieses im sogenannten “Volkszählungsurteil” des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1983 erklärte Recht dem Bürger eben gerade die Befugnis darüber einräumt, “grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.” (mehr…)

Herrschaftliches Liedgut

Wie der Philosoph Peter Sloterdijk aus Motiven der »Konservativen Revolution« und des Liberalismus den Heldengesang kapitalistischer Despotie komponiert. Eine Kritik der zynischen Vernunftzerstörung

Thomas Wagner

sloterdijk03.jpgDie Nazis haben die Methoden und das Ausmaß ihres Schreckensregimes bei den Bolschewisten Sowjetrußlands bloß abgekupfert. So läßt sich eine These zuspitzen, mit der ein bis dahin renommierter Historiker der BRD vor nunmehr 20 Jahren den Zorn von Jürgen Habermas auf sich zog und den Widerspruch einer Reihe linksliberaler Intellektueller provozierte. Besagter Ernst Nolte und andere Vertreter des historischen Revisionismus legten den Gedanken nahe, daß es ohne das kommunistische Vorbild die Menschheitsverbrechen der Nazifaschisten in der heute bekannten Form nie gegeben hätte. »Die von den Nazis betriebene Politik sei eine solche der ›Gegenausrottung‹, eine Antwort auf die Politik der ›Ausrottung‹, die das aus der Oktoberrevolution hervorgegangene Regime vollführt habe«, faßt der italienische Philosoph Domenico Losurdo die Ansichten der Revisionisten in seinem neuen Buch »Kampf um die Geschichte« (S. 7) zusammen. Solcherart kausale Verknüpfungen dienten damals wie heute in der Regel einem eindeutig identifizierbaren politischen Zweck. Sie sollten den Sozialismus in allen seinen Spielarten so weit wie möglich diskreditieren und auf diese Weise die uneingeschränkte Herrschaft des Kapitals verteidigen und durchsetzen helfen. In der schon bald als »Historikerstreit« bekanntgewordenen Debatte mußte Nolte heftig Federn lassen. Seine Thesen verstießen gegen den gut begründeten bundesrepublikanischen Konsens, dem zufolge die Vernichtung der europäischen Juden in gar keinem Fall durch den Vergleich mit anderen Verbrechen in irgendeiner Form relativiert werden dürfe. Noch heute ist Nolte deshalb im Wissenschaftsbetrieb und im Feuilleton des vereinigten Deutschland eine unerwünschte Person. (mehr…)

Alle unter Verdacht

Ulla Jelpke


rauberlupe.jpgDie Bundesregierung bleibt unbeeindruckt – trotz landesweiter Proteste will sie den »Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung« durchpeitschen. Noch am Montag protestierte der ARD-Vorsitzende Fritz Raff in Saarbrücken gegen das Vorhaben, da es u.a. Journalisten zu Geheimnisträgern zweiter Klasse mache. »Man kann nicht die Freiheit schützen, indem man Grundrechte abschafft«, sagte Raff. Aus Protest gegen das Vorhaben war der in Ingolstadt erscheinende Donaukurier am Wochenende mit geschwärzter Titelseite erschienen. Der Widerstand soll am heutigen Dienstag fortgesetzt werden: In über 40 Städten sind Kundgebungen und Mahnwachen geplant.
Hinter dem sperrigen Titel des Gesetzes, das voraussichtlich am Donnerstag im Bundestag beraten wird, verbergen sich weitreichende Eingriffe in die Grundrechte. Insbesondere wird der Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Ärzten und Anwälten vor verdeckten Ermittlungsmaßnahmen nicht gewährleistet. Es soll prinzipiell erlaubt werden, Telefonate von Ärzten, Journalisten und Anwälten abzuhören – Strafverteidiger aber sollen dagegen abgesichert werden. Der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Axel Filges, zeigte sich damit in einem am Montag veröffentlichten Spiegel-Interview unzufrieden. Er verwies darauf, daß es »hochsensible Gespräche« auch bei anderen Anwälten als Strafverteidigern geben könne, ebenso bei Journalisten. »Der Schutz der Berufsgeheimnisträger ist kein Selbstzweck, es geht hier um die Freiheit der Bürger, um sensibelste Bereiche, in denen der Staat nicht herumzuschnüffeln hat.« (mehr…)

Jihad-Simulanten und ihre Puppenspieler

 Von Mathias Bröckers

terror-fritz.jpgDass die sauerländischen Wasserstoffperoxid-Bomber - “Terror-Fritz” und seine Freunde – stets unter den wachsamen Augen von Polizei und Verfassungschutz Al Qaida spielen durften, ist schon länger bekannt. Dass sie dazu in einem Multi- Kultur-Haus in Neu-Ulm von einem islamistsichen Prediger, dem Ägypter Yehia Yousif angeleitet wurden, ist ebenfalls schon berichtet worden. Noch nicht den Weg in den Mainstream der Nachrichten hat indessen gefunden, dass es sich bei dieser grauen Eminenz der Neu-Ulmer Multi-Kultur um einen langjährigen Mitarbeiter des Verfassungschutzes  handelt.
Schöne “Haßprediger” sind mir das…und fast könnte man meinen, dass man ihnen aus denselben Gründen nicht das Handwerk legen kann wie den V-Leuten im NPD-Vorstand. Dasselbe scheint auch für die “Islamische Jihad Union” zu gelten, der sich die teutonischen Konvertiten angeschlossen haben sollen. Dass dieser Verein, der in Usbekistan beheimatet sein soll, eine Propaganda-Erfindung ist, hatte der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, zwar schon vor zwei Jahren enthüllt ; jetzt sind aber auch der WDR und der Verfassungsschutz selbst dahintergekommen , dass mit dieser Wickelmützen-Union etwas nicht stimmt. Wer aber ist dann für die Steuerung dieser teutonischen Terrorzelle verantwortlich ? Zur Beantwortung dieser Frage sei der vorsichtige Hinweis gestattet, woher der erste Tip kam, der dann zu diesem großen Anti-Terror-Fahndungserfolg führte, mit dem uns, SSchäuble sei Dank, ein gigantisch gefährlicher Anschlag erspart blieb. Es waren, so die Tagesschau, “US-Geheimdienste”.

Der Bologna-Prozess für einen „Europäischen Hochschulraum“ – oder wie ein europäischer Traum an der Wettbewerbsideologie zerplatzte

Von Wolfgang Lieb, NachDenkSeiten

hyaene.jpgLernen im Gleichschritt“ hat mich in meiner Kritik bestätigt, die ich seit längerer Zeit am Hochschulreformprozess hin zur „unternehmerischen“ Hochschule übe. Lemke endet mit dem Satz „Schade, dass der Name Bologna nun auch zum Symbol für das Begräbnis der Europäischen Universität geworden ist!“ So sehe ich das auch.
Die Bologna-Erklärung für einen „Europäischen Hochschulraum“ ist 1999 von 31 europäischen Bildungsministern unterzeichnet wurde. Ich war bis zum Jahre 2000 Staatssekretär im Nordrhein-Westfälischen Wissenschaftsministerium und habe deshalb die Diskussion um diese Erklärung mitverfolgt, ja sogar mitbegleitet. Aus heutiger Sicht muss ich enttäuscht feststellen, dass die Visionen und Hoffnungen, die ich zu Beginn damit verbunden habe, im Verlauf des Bologna-Prozesses geradezu pervertiert worden sind. (mehr…)

Eine Nummer ist auch nur ein Mensch

Von Heribert Prantl

002.jpgJeder Deutsche wird demnächst eine elfstellige Nummer erhalten - so sieht es das neue Lohnsteuergesetz vor, das das Kabinett beschließen will. Datenschützer sehen darin eine Zäsur in der deutschen Datenschutzgeschichte. In diesen Wochen wird jeder Mensch in Deutschland einen Brief erhalten. In diesem Brief steht sein neuer Name. Diesen Namen hat er nicht geerbt; und weder er noch seine Eltern haben ihn sich ausgedacht. Der Staat hat ihm diesen Namen zugeteilt.
001.jpgDer neue Name besteht aus elf Ziffern; und diese Ziffern werden so wichtig sein, dass der alte Name immer weniger interessiert. Der neue Name wird die Basis der Existenz, der alte zur Zierde. Ohne den neuen Namen wird man kein Konto eröffnen, keinen Handyvertrag schließen, sich nicht für die Volkshochschule anmelden und sich nicht ins Internetforum einloggen können. (mehr…)

Freiheit und Staat

km. Das Streben nach Freiheit ist ein Menschheitsstreben. Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung ist ein Wesensbestandteil der Menschenwürde.
© Zeit-Fragen.ch

dsc08204kl.jpgDas Streben nach Freiheit resultiert zum einen aus der bitteren Erfahrung der Unfreiheit, die für den Menschen immer mit sozialer Diskriminierung, Knechtung und Gewalt, Unterdrückung und Entwürdigung verbunden ist, zum anderen aus dem Wissen um das wahre Glück eines freien Lebens. Das Streben nach Freiheit war und ist immer ein Leitmotiv im Kampf gegen Unrecht, Unterdrückung und Gewalt. Zeugnisse des Freiheitsstrebens sind aus allen Zeiten und Kulturen überliefert.
Grundlegend für das europäische Verfassungsdenken seit der Französischen Revolution sind die Freiheitsideen des Aufklärungszeitalters. Philosophen dieses Zeitalters haben sich systematisch mit der Frage der Freiheit und Selbstbestimmung beschäftigt und die Idee des Gesellschaftsvertrages formuliert. Diese Philosophen gehen davon aus, dass jeder Mensch im Naturzustand absolut frei und keiner Macht unterworfen ist und diese Freiheit nur durch den freien Willen aller Gesellschaftsmitglieder in einem Gesellschaftsvertrag eingeschränkt werden darf, und zwar alleine zum Schutz von Freiheit und Eigentum, Sicherheit und Leben. Freiheit bedarf des Eigentums (soziale Gerechtigkeit), der Sicherheit und natürlich des Lebens (Schutz vor Gewalt). (mehr…)

Der artgerechte Staat

Das Recht der inneren Sicherheit in Deutschland ist gekennzeichnet vom Verlust der Maßstäbe und von der Veralltäglichung der Maßlosigkeit.
Von Heribert Prantl

buchenwald2.jpgWas bei den Legehennen als nicht artgerecht gilt, gilt nun offenbar bei den Menschen als gerecht. Für Legehennen ist die Käfighaltung mit Ablauf 2008 verboten; für Menschen wurde sie soeben eingeführt. In Heiligendamm sind die festgenommenen Demonstranten in Gitterkäfige gesperrt und dort verwahrt worden, jeweils 20 Menschen auf 25 Quadratmeter, Tag und Nacht beleuchtet und bei all ihren Regungen gefilmt.
Diese Käfighaltung manifestiert: Das Recht der inneren Sicherheit in Deutschland ist gekennzeichnet vom Verlust der Maßstäbe und von der Veralltäglichung der Maßlosigkeit. Bezeichnend dafür ist auch der ungeheuerliche Verdacht, dass staatliche Gewaltaufwiegler, Zivilpolizisten in schwarzer Maskerade, sich unter die Demonstranten von Heiligendamm gemischt, sie zu Straftaten angestiftet und zu diesem Zweck Steine auf die Polizei geworfen haben sollen. (mehr…)

« vorherige SeiteNächste Seite »