Wohin der Weg geht

Der Beschluß der Vorratsdatenspeicherung und die absehbaren Folgen

Freace

schiller-rauber-terror.jpgAm Freitag hat der deutsche Bundestag - wie nicht anders zu erwarten, immerhin besitzt die “große Koalition” aus SPD und CDU dort die absolute Mehrheit - das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Der Fall einer kürzlich in Großbritannien verurteilten Frau kann zweifellos als Beispiel dafür dienen, wohin der Weg dieses Gesetzes führen wird. Am Freitag hatte sich die deutsche Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in einem Interview gegenüber DeutschlandRadio beklagt, daß die Informationsbasis der Bevölkerung “offenbar so schlecht” sei. Es sei ja gar nicht so, daß die Inhalte von Gesprächen, E-Mails oder sonstiger Kommunikation nun gespeichert würden. Tatsächlich werden “nur” die Verbindungsdaten - verbunden mit dem jeweiligen Standort im Falle von Mobiltelephonen - gespeichert. Genau diese Erfassung von Verbindungsdaten erscheint Berichten vom vergangenen Jahr zufolge sogar dem amerikanischen Geheimdienst NSA - sicherlich nicht wegen seiner Zurückhaltung bekannt - ausreichend. Die Folgen für den einzelnen, wenn dies mit weiteren Bestrebungen - zweifellos nicht nur der NSA - verknüpft würde, wurden hier bereits im Sommer des vergangenen Jahres erläutert.
Eine weitere Aussage Zypries’ in dem Interview kann nur als Lüge bezeichnet werden. Auf die Frage, ob “die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Selbstverständnis einer modernen Demokratie” gehöre, sagte sie: “Doch, natürlich. Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert.” In Wahrheit ist es hingegen so, daß dieses im sogenannten “Volkszählungsurteil” des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1983 erklärte Recht dem Bürger eben gerade die Befugnis darüber einräumt, “grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.”

Entscheidend für die zu erwartenden Folgen des ab 1. Januar 2008 anzuwendenden Gesetzes ist aber eine weitere Aussage der Bundesjustizministerin.

“Die Daten kommen nur dann in staatliche Hände, wenn ein unabhängiges Gericht darüber entschieden hat, und die Voraussetzung dafür überhaupt erstmal ist der Verdacht einer schweren Straftat”, sagte sie.

Der Fall einer 23-Jährigen, die einem BBC-Bericht zufolge als erste Frau in Großbritannien im Rahmen des Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden ist, läßt erahnen, wie weiträumig die Formulierung “schwere Straftat” bei entsprechender Motivation der Behörden gefaßt werden kann.

Die aus Southall westlich der Hauptstadt London stammende Samina Malik hatte unter dem Nickname “Lyrical Terrorist” - “poetischer Terrorist” - auf mehreren Websites von ihr verfaßte Gedichte veröffentlicht, in denen Osama bin Laden gerühmt, das Märtyrertum unterstützt und Enthauptungen diskutiert wurden. Einem Bericht des Telegraph zufolge wurde die britische Polizei auf sie “aufmerksam”, als sie auf dem Computer einer anderen Person eine E-Mail von ihr fanden. Daraufhin wurde ihre Wohnung durchsucht. Auf ihrem Computer fand sich demnach ein Ordner mit dem Namen “Kopien von Handbüchern”. In einem Buch seien “versteckte” handgeschriebene Notizen gefunden worden - schlechte Zeiten für Schüler, die eine Buch-Interpretation anfertigen sollen. Auch sei ein Armband mit dem Wort “Jihad” gefunden worden - kaum überraschend bei einer gläubigen Muslima, besagt dies doch zuallererst den Einsatz für den Glauben in sich selbst. Außerdem seien mehrere Handbücher und anderes “terroristisches Material” gefunden worden, darunter Osama bin Ladens “Kriegserklärung”, das “Al-Qaida-Handbuch”, das Handbuch zu einem Scharfschützengewehr und das “Handbuch der Gifte der Mujaheddin”.

Während Malik, die bei der Urteilsverkündung in Tränen ausbrach, die Gedichte als “bedeutungslos” bezeichnet hatte, hatte der Staatsanwalt Jonathan Sharp gesagt: “Diese Kommunikationen deuten stark darauf hin, daß Samina Malik tief in Gruppen mit Beziehungen zu Terroristen verwickelt war.” Sie wurde verurteilt weil sie im Besitz von Gegenständen war, die “wahrscheinlich für eine Person, die eine terroristische Handlung begeht oder plant, nützlich sind.”

“Sie hatte die Ideologie, die Fähigkeit und die Entschlossenheit, auf Materialien, die für Terroristen hätten nützlich sein können, zuzugreifen und diese herunterzuladen. Allein der Besitz dieser Materialien ist ein ernstes kriminelles Vergehen”, so Polizeidirektor Peter Clarke, Leiter der Anti-Terror-Einheit der Londoner Polizei.

Eine einzige gefundene E-Mail reichte aus, um einen Hausdurchsuchungsbefehl bei Malik zu erwirken. Dort gefundene “Handbücher” genügten, um sie wegen eines “schweren Verbrechens” zu verurteilen. Das Strafmaß wird am 6. Dezember verkündet werden. Der Richter betonte, daß ihm “alle Möglichkeiten des Strafmaßes” offenstünden.

Wenn das Vorhandensein von “Ideologie, Fähigkeit und Entschlossenheit” in Großbritannien ausreichen, um als Schwerverbrecher gelten zu können, so dürfte es auch deutschen Behörden kaum schwerfallen, Gründe für den Verdacht eines “schweren Verbrechens” zu finden und so an die zukünftig sechs Monate lang gespeicherten umfassenden Kommunikationsdaten eines Menschen in Deutschland zu gelangen - außer es handelt sich um einen Seelsorger, Strafverteidiger oder - kaum überraschend - Abgeordneten.

Quelle: Freace

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