Die Journalistin Heike Schrader hatte nur legale Aktivitäten ausgeführt, die angeblich eine terroristische Organisation gestärkt haben soll.
Zeitgleich mit dem Urteil gegen Hajdib ging am Dienstagnachmittag ebenfalls vor dem OLG Düsseldorf auch das Verfahren gegen die in Griechenland lebende Journalistin Heike Schrader nach nur zwei Verhandlungstagen zu Ende. Ihr wurde vorgeworfen, Mitglied der linken türkischen Organisation DHKP-C gewesen zu sein, die seit August 1998 in Deutschland verboten ist (129a: Lesereise hinter Gitter). Dieses Verfahren hat wenig öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, die Pressebank war leer. Das Urteil, eine Haftstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten, die auf 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird, vermittelt den Eindruck, dass die Angeklagte noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen ist. Tatsächlich nahmen Verteidigung und Staatsanwalt das Urteil sofort an und verzichteten auf weitere Rechtsmittel. (mehr…)
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]]>SYSTEMFEHLER - Warum die Eliten Hans-Werner Sinn keine Sozialnachhilfe angedeihen lassen
Für jüngste alarmierende Zeichen einer Erosion der Demokratie hat der britische Soziologe Colin Crouch kürzlich den Begriff der “Postdemokratie” geprägt. Damit meint er: Die formalen Institutionen sind noch vorhanden, die Verfahren werden brav vollzogen, doch die Entscheidungen fallen immer seltener auf der demokratischen Bühne. Eine Spiegel-Serie im Mai 2008, die der Frage nachging, ob Demokratien der führenden kapitalistischen Staaten noch eine Zukunft haben, berichtete, dass Verantwortungsträger aus Wirtschaft und Politik sich beeindruckt zeigen von dem Can-do-Spirit von Entwicklungsdiktaturen und Petro-Theokratien.
Dies werfe bei ihnen die Frage auf, ob nicht die hohen Wachstumsraten, die dynamischen Innovationen, die schnellen politischen Entscheidungen auf eine Effizienz des politischen Systems schließen lassen, mit denen die Wettbewerbsvorteile auch einer Wirtschaft wie der Deutschlands sich noch weiter steigern ließe. Wenn alle gesellschaftlichen Bereiche unter dem Gesichtspunkt evaluiert werden, ob sie globalen Verwertungsmaßstäben entsprechen, wäre es nur konsequent, auch nach den Kosten der Demokratie zu fragen: teure Wahlen, unnützes parlamentarisches Personal, kostenintensive Parteienlandschaft, Immobilien in bester Lage, die nach Privatisierung schreien, zu viele Gesetze, die das Durchregieren zugunsten der Wirtschaft erschweren, und schließlich eine Öffentlichkeit, die politische Entscheidungen “zerredet”. Demokratie erscheint als ein zu teurer, weil hinderlicher Luxus. (mehr…)
Dazu passt auch:
]]>ad-sinistram
Wenige Jahre vor seinem Tod, schrieb Carl Amery ein Essay, welches in besorgniserregender Art und Weise verdeutlicht, in welcher Tradition, mit welchem Erbe behaftet unsere Zeit ist. Ein Erbe, welches gerade heute, in Tagen entfesselten Konsum- und Kosten-Nutzen-Denkens, in Gänze zur Geltung kommt, in denen aufbricht, was schon seit Jahren verkrustet schien.
In „Hitler als Vorläufer – Auschwitz, der Beginn des 21. Jahrhunderts?“ räumt Amery auf mit der heute vorherrschenden Annahme, dass die Zeit des Hitlerismus, also die Jahre 1933 bis 1945, eine Art Unfall deutscher Geschichte darstellen. Es sei eben nicht ein unerklärlicher Rückfall in die Barbarei oder ins Mittelalter – welches bei weitem nicht so brutal war, wie diese zwölf Jahre deutscher und europäischer Geschichte -, sondern die logische Konsequenz einer entfesselten Wissenschaftlichkeit. Gleichwohl stehen diese zwölf Jahre, steht auch Auschwitz, nicht abgeschottet von der danach folgenden Zukunft. Für Amery sind die Jahre 1933 bis 1945 nicht unerklärlich und stehen nicht innerhalb des 20. Jahrhunderts, wie Jahre, die da eigentlich nicht hineinpaßten – im Gegenteil: die Zeiten des Hitlerismus, gerade auch der Genozid an allerlei Ethnien, stehen dort folgerichtig und sind nicht vom Heute isolierend zu betrachten.
So legt der Autor dar, wie Hitler als Kind seiner Zeit, dazu überging, in der „grausamen Königin aller Weisheit“ – nach einem Zitat in Hitlers „Mein Kampf“ -, den einzigen Leitgedanken seiner Politik zu erkennen. Er sei der Feldherr dieser Königin gewesen, die man als den pervertierten Gedanken des Darwinismus verstehen muß. Die Königin ist jener blutrünstige Umstand, der sich für die Menschen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als Kampf auf Leben und Tod, der sich in der Natur manifestiert, als Grundprinzip des Daseins abzeichnete. Selbst menschliche Gesellschaften würden diesem Prinzip unterliegen und die Politik habe dieser kruden Metaphysik Folge zu leisten und den Kampf dahingehend zu führen, der eigenen Rasse das Ãœberleben zu sichern. Rassischer Sozialdarwinismus: das ist die hitleristische „grausame Königin aller Weisheit“. (mehr…)
„Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt
1. den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder
2. die auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern,
wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“
– § 81 StGB
Ermittler sollen dem neuen BKA-Gesetz zufolge mit richterlicher Genehmigung heimlich Computer durchsuchen dürfen. Das Bundeskriminalamt wird so zur Bundes-Superpolizei.
Von Heribert Prantl
Der heutige Tag ist ein bemerkenswerter Tag in der deutschen Rechtsgeschichte. Es ist der Tag, an dem die Entmachtung der Staatsanwaltschaft Gesetz wird - und zwar beginnt diese Entmachtung ganz oben, an der Spitze des Strafverfolgungs-Systems: Die Bundesanwaltschaft verliert ihre Sachherrschaft in den Terrorverfahren an das Bundeskriminalamt (BKA). Das BKA-Gesetz, das an diesem Mittwoch im Bundestag beschlossen werden soll, führt nämlich dazu, dass in Terrorsachen im Zweifel das Bundeskriminalamt, also die Polizei, das Sagen hat - und damit die diesem vorgesetzte Behörde, das Bundesministerium des Inneren.
Nicht mehr der Generalbundesanwalt, sondern Minister Schäuble führt künftig das entscheidende Wort. Denn die Verhütung von Straftaten, die das neue Gesetz dem BKA zuweist, schlägt die Verfolgung von Straftaten, für die die Bundesanwaltschaft zuständig ist. Die Staatsanwaltschaft, die Herrin des Ermittlungsverfahrens, die dafür sorgen soll, dass dem Gesetz Genüge getan wird, wird zur nachgeordneten Behörde. (mehr…)
Das BKA-Gesetz macht heimliche Grundrechtseingriffe möglich - gegen die sich der betroffene Bürger nicht wehren kann.
Ein Kommentar von Heribert Prantl
Einer der größten, wichtigsten, ja fundamentalsten Sätze des Grundgesetzes steht in Artikel 19 Absatz 4: Dieser Satz garantiert jedem Menschen, der von “von der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt” wird, dass ihm “der Rechtsweg offen” steht. Der Satz war, als er vor sechzig Jahren ins Grundgesetz geschrieben wurde, ein kühner Satz. Der große Staatsrechtler Richard Thoma bezeichnete ihn als den “Schlussstein in dem Gewölbe des Rechtsstaats”.
Ein Hohn auf die Rechtsschutzgarantie
Das neue BKA-Gesetz reißt diesen Schlussstein aus dem Gewölbe. Es ersetzt ihn durch einen Laib löchrigen Käse., der eingewickelt ist in den Satz: Was der Bürger nicht weiß, macht den Bürger nicht heiß. Das neue Gesetz gibt nämlich der obersten Bundespolizeibehörde, also der öffentlichen Gewalt, die Macht zu allen möglichen Grundrechtseingriffen - von denen aber der betroffene Bürger nichts erfährt; also kann er sich auch nicht dagegen wehren. (mehr…)
“Ich glaube, dass die Bankinstitutionen für unsere Freiheiten gefährlicher sind als die Armeen.”
(Thomas Jefferson, Amerikanischer Präsident; 1743-1826)
Die USA liegen im Sterben. Sie sind selbstzerstörerisch und reißen die restliche Welt mit sich in den Abgrund. Oftmals als Subprime-Hypothekenkrise bezeichnet, verschleiert dieser Begriff den wahren Grund für den Zusammenbruch der Finanzmärkte. Indem man greifbare notleidende Hypothekenkredite mit der Krise in Verbindung bringt, kann wenigstens etwas ‚Reales’ für das Gemetzel verantwortlich gemacht werden. Problematisch ist nur, dass dies ein Märchen ist. Das Ausmaß dieses Finanzzusammenbruchs liegt darin begründet, dass es alles nichts als heiße Luft war.
Die Bankenbranche änderte Ausfallgarantien in so genannte „Credit Default Swaps“ und verwandelte riskante Wetteinsätze in ‚Derivate’. Finanzmanager und Bankvorstände tischten der gesamten Welt diesen ultimativen Schwindel auf, ähnlich wie die Quacksalber im 18. Jahrhundert, nur diesmal mit Anzug und Krawatte. Und im Oktober war es schließlich zu einem Billiarden-Dollar-Gewerbe (das sind 1000 Billionen Dollar) geworden, das nur wenige durchschauten. Auf falscher Hoffnung errichtet, fallen die USA nun wie ein Kartenhaus in sich zusammen. (mehr…)
Es war schon immer ein Menschheitstraum, aus feuchtem Dreck gutes Geld zu machen. Er beflügelte die Alchemisten des Mittelalters, die aus “unedlen Stoffen” edles Gold zu fabrizieren suchten. Heute wird der Traum zum Geschäftsmodell der modernen Finanzjongleure, deren Finanzinnovationen Traumrenditen von 25 Prozent und mehr bringen sollen. Die Alchemisten scheiterten, doch immerhin erfanden sie am sächsischen Hof das “weiße Gold”. Die modernen Finanz-Alchemisten hingegen hinterlassen nichts als ruinierte Banken, geplünderte Staatskassen und eine “Realökonomie” in Trümmern.
Statt Geld zu machen, haben sie Geld verbrannt. Das tut ihnen nicht weh, denn es war nicht ihres, und die “goldenen Fallschirme” saftiger Prämien ermöglichten die weiche Landung. Um die Verluste der Privaten aufzufangen, haben die Regierungen und Zentralbanken diesseits und jenseits des Atlantik mehr als 2.000 Milliarden US-Dollar öffentliche Mittel locker gemacht. Die sonst so knauserigen Regierungen hatten keine Alternative, nachdem sie selbst durch Liberalisierung und Deregulierung der Märkte den privaten Akteuren das Feld überlassen hatten, auf dem diese ihre hochrentierlichen Geschäftmodelle ausspielen konnten, bis es krachte. (mehr…)
Unbestreitbar haben die letzten acht Jahre unter der Präsidentschaft George W. Bushs den USA aber auch dem Rest der Welt schweren Schaden zugefügt. Vor allem der “Krieg gegen den Terror” mit den beiden desaströsen Kriegen gegen den Irak und Afghanistan haben das Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt auf einen historischen Tiefpunkt sinken lassen. Darüber hinaus ist es begrüßenswert, dass mit Obama erstmals ein Afro-Amerikaner zum US-Präsidenten gewählt wurde. Auch setzt sich sein innenpolitisches Programm deutlich von dem seines unterlegenen Herausforderers John McCain ab. Angesichts des offensichtlich kritischen Gesundheitszustandes McCains war allein schon die Aussicht, dass im Falle seines Todes Sarah Palin als dessen Nachfolgerin ins Präsidentenamt aufsteigen würde, schlichtweg gruselig. Trotz alledem sollte man jedoch nicht die Augen davor verschließen, dass vieles darauf hindeutet, dass bzgl. der an Obama gerichteten friedenspolitischen Erwartungen der große Katzenjammer droht.
So deutet einiges darauf hin, dass er – nicht zuletzt aufgrund der großen wirtschaftlichen Probleme der USA – versuchen wird, die EU-Staaten künftig deutlich stärker militärisch in die Pflicht zu nehmen, auch sie soll einen angemessenen Beitrag zur Aufrechterhaltung der westlich dominierten kapitalistischen Ordnung leisten. Auch die Auswahl seines Beraterteams, Obamas eigene Äußerungen und Veröffentlichungen aus dem demokratischen Umfeld, geben keinen Anlass zu allzu großem Optimismus. Vom Irak über die grundsätzliche Haltung gegenüber Militäreinsätzen bis hin zum Verhältnis mit Russland deutet leider wenig darauf hin, dass mit einer grundsätzlichen Wende zu rechnen ist.
(Kleine) Hoffnungsschimmer
Betrachtet man eine der wichtigsten Blaupausen zur Außen- und Sicherheitspolitik unter der Präsidentschaft Obamas, so dürfte am ehesten im Bereich der Nuklearpolitik mit einer Verbesserung zu rechnen sein. So setzt sich das Papier “Strategic Leadership: A Framework for a 21st Century National Security Strategy” für eine schnellstmögliche Reduzierung des amerikanischen und russischen Atomwaffenarsenals ein. Offen wird leider die Frage gelassen, ob die abgerüsteten Atomwaffen endgültig zerstört oder lediglich eingelagert (”hedge”) werden sollen. Dies war bereits unter Bush der größte Streitpunkt mit Russland, das auf eine endgültige Zerstörung drängte, da ansonsten eine neuerliche Aufrüstung nahezu problemlos jederzeit wieder möglich wäre.
Darüber hinaus ist Obamas Vizepräsident Joseph Biden seit vielen Jahren ein Gegner der kostspieligen und hochgradig destabilisierenden Pläne zum Aufbau einer US-Raketenabwehr.[1] Inwieweit sich dies auch auf den Beschluss auswirken wird, Teile des US-Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik aufzubauen, bleibt jedoch abzuwarten. Auch die Haltung des neuen Präsidenten zu den Plänen innerhalb der NATO, einen eigenen flächendeckenden Abwehrschild errichten zu wollen, ist gegenwärtig noch unklar.[2]
Irak: Teilung und Teilabzug
Im Gegensatz zu seiner Position hinsichtlich der US-Raketenabwehr spielt Joseph Biden mit seinen Vorschlägen zur “Lösung” des Desasters, das der Angriffskrieg gegen den Irak angerichtet hat, eine gefährliche Rolle. In einem mit Leslie Gelb verfassten Grundsatzartikel schlug Biden nicht weniger als eine Atomisierung des Irak vor: “Amerika muss sich von der falschen Wahl zwischen ‘den Kurs halten’ und ‘die Truppen sofort Heim bringen’ verabschieden und einen dritten Weg wählen. Einen, der es uns erlaubt, unsere Truppenpräsenz verantwortlich zu reduzieren und dabei gleichzeitig Chaos zu verhindern und unsere Sicherheitsinteressen zu wahren.” Anschließend schlagen die beiden de facto die Aufspaltung des Irak in drei Teile vor, einen sunnitischen, einen schiitischen und einen kurdischen. Da die “Dinge ohnehin in Richtung einer Teilung laufen”, solle Washington diesen Prozess so weit als möglich forcieren.[3] Nicht nur Hardliner begrüßen diesen Vorschlag. Auf seiner eigenen Website listet der Vizepräsident in einem Beitrag mit dem Titel “Biden-Gelb-Plan wird zur wichtigsten Option für den Irak” zahlreiche prominente Demokraten als Unterstützer seines Vorhabens auf.[4]
Darüber hinaus wird gerne übersehen, dass Obama selbst mitnichten einen vollständigen Abzug aus dem Irak anvisiert, auch wenn dies überall suggeriert wurde. Vielmehr spricht sich Obama zwar für eine deutliche Reduzierung der Präsenz aus, dennoch will er auch künftig US-Truppen im Land stationiert lassen: “Dies [die Reduzierung] würde im Sommer 2010 abgeschlossen sein. [...] Nach dieser Restrukturierung würden wir eine Kerntruppe (residual force) für bestimmte Aufgaben im Irak belassen: für das Vorgehen gegen die Reste von Al-Kaida; den Schutz unserer Dienstleister und Diplomaten; und die Ausbildung und die Unterstützung der irakischen Sicherheitskräfte, so lange bis die Iraker Fortschritte machen.”[5] Ãœber die genaue Größe dieser “Kerntruppe”, die man auch als “Restbesatzung” bezeichnen könnte, schweigt sich Obama zwar aus, aus Andeutungen während einer Senatsanhörung geht aber hervor, dass er dabei etwa 30.000 Soldaten im Auge hat.[6] Eine zeitliche Befristung für die fortgesetzte Besatzung ist nirgendwo zu finden, das hat mit dem vollmundig versprochenen Abzug nichts zu tun.
Ganz grundsätzlich betonte Obama immer wieder, seine ablehnende Haltung bzgl. des Irak-Krieges sei nicht zu verwechseln mit einer pazifistischen Position und der grundsätzlichen Ablehnung des Einsatzes von Gewalt als legitimem Mittel der Politik. Betrachtet man seinen Beraterstab, so mag man ihm das gerne glauben.
Beraterstab: Falkenkarussell
Die Auswahl von Obamas Beraterteam ist ein Sammelsurium, in dem sich einerseits einige “realistische” Machtpolitiker wie Wesley Clark finden, der als NATO-Oberbefehlshaber den Angriffskrieg gegen Jugoslawien maßgeblich mit zu verantworten hat. Andererseits hat er aber auch zahlreiche “linksliberale” Bellizisten um sich geschart, die sich für humanitäre Interventionen zum Schutz der Menschenrechte und für die gewaltsame Verbreitung von Demokratie, Menschenrechten und – nicht zu vergessen – freien Märkten einsetzen. So bat Obama bspws. Samantha Power als seine Beraterin zu fungieren, nachdem er ihr Buch (A Problem from Hell: America and the Age of Genocide) gelesen hatte, ein flammendes Plädoyer für “humanitäre” Interventionen.[7] Ihre Positionen finden sich in Aussagen Obamas wie folgender wieder: “Werden wir den Worten ‘nie wieder’ in Darfur Bedeutung verleihen?”[8]
Wie einige seiner Vertrauten ticken zeigt ein Beitrag von Michael McFaul, ebenfalls Mitglied in Obamas engerem Beraterstab. In einem Artikel mit dem Titel “Die Freiheitsdoktrin” plädierte dieser für folgendes außenpolitisches Leitbild: “Eine neue große Vision für die Anwendung amerikanischer Macht ist nötig. [...] Die Verfolgung der Freiheitsdoktrin als eine Anleitung der amerikanischen Außenpolitik bedeutet, die Förderung individueller Freiheit im Ausland an die Spitze der Agenda zu setzten. Eine Förderung der Freiheit erfordert zunächst die Eindämmung und danach die Eliminierung der gegen die Freiheit gerichteten Kräfte, seien es Individuen, Bewegungen oder Regime. Danach kommt die Konstruktion pro-freiheitlicher Kräfte. [...] Schließlich kommt die Etablierung von Regierungen, die die Freiheit ihrer eigenen Bevölkerung ebenso schätzen und schützten, wie dies die Vereinigten Staaten tun.”[9]
Selbst der berüchtigten Bush-Doktrin wird nicht grundsätzlich eine Absage erteilt. Ihr Kernelement, der völkerrechtswidrige Präventivkrieg, findet sich verklausuliert auch in Reden Obamas: “Wir müssen in Betracht ziehen, unsere Militärkräfte in Situationen außerhalb der Selbstverteidigung einzusetzen, um die gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten, die globale Stabilität ermöglicht – um unsere Freunde zu unterstützen, an Stabilisierungs- und Wiederaufbaueinsätzen teilzunehmen oder gegen Massentötungen vorzugehen.”[10] Als wäre dieses Interventionsbündel nicht schon breit genug geschnürt, fügt der neue US-Präsident mit Blick auf die – tatsächlichen oder vermeintlichen – Nuklearambitionen des Irans und Nordkoreas hinzu: “Um mit diesen Bedrohungen umzugehen, werde ich die militärische Option nicht vom Tisch nehmen.”[11] Noch deutlicher wird das bereits oben erwähnte Grundlagendokument zur künftigen demokratischen Außenpolitik. Es betont zwar die “Bedeutung, dass die Umstände, unter denen Gewalt defensiv oder präventiv angewendet werden könnte, sorgfältig analysiert werden müssen.”[12] Eine Absage wird dem Konzept aber nicht erteilt.
Kein amerikanisch-russischer Honeymoon
Dringend erforderlich wäre ein Wandel in den amerikanisch-russischen Beziehungen, damit die sich verschärfenden Konflikte nicht in einen Neuen Kalten Krieg abgleiten. Doch auch hier stimmt die Auswahl von Obamas Beratern alles andere als zuversichtlich.
Am meisten Beachtung wurde der Ernennung Zbigniew Brzezinskis als Berater geschenkt, ein Altmeister US-amerikanischer Geopolitik. Er lobt sich bis heute, mit der Aufrüstung der Mudschaheddin (und auch Bin Ladens) Ende der 1970er die Sowjetunion “in die afghanische Falle” gelockt zu haben. Ãœber diesen Menschen sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow einmal: “Ich bin froh, dass er ein ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater ist. Hass sollte nicht die Außenpolitik bestimmen.”[13] Vor allem im jüngsten Krieg zwischen Georgien und Russland meldete sich Brzezinski lautstark zu Wort. Er verglich Putins Vorgehen mit dem Hitlers und forderte, dass dies nur zu “Ausgrenzung und wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen führen kann. Wenn Russland diesen Kurs weiterfährt, muss es letztendlich innerhalb der Staatengemeinschaft isoliert werden.”[14]
Ingesamt gelangt auch das “Center for Defense Information” zu dem Ergebnis, dass den amerikanisch-russischen Beziehungen nicht gerade rosige Zeiten bevorstehen: “Die Auswahl von Obamas Beratern ist beunruhigend. Er wird von Zbigniew Brzezinski beraten, ein Mann, der für keinerlei freundschaftliche Gefühle gegenüber Russland bekannt ist. Sein wichtigster Russland-Mann ist Michael McFaul, einer der lautstärksten Kritiker Putins in Washington. Und er erhält Lehrstunden in Demokratieförderung von George Soros. Nichts davon ist ein gutes Zeichen für die Fähigkeit Obamas, die Beziehungen zwischen Russland und den USA zu verbessern.”[15]
Eskalation in Afghanistan
Am deutlichsten sind Obamas Aussagen bezüglich des Kriegs in Afghanistan. Auf der einen Seite will er den Krieg auf pakistanisches Gebiet ausdehnen, um dort Rückzugsgebiete des Widerstandes zu bekämpfen, was automatisch zu einer weiteren Eskalation führen würde. Andererseits beabsichtigt er insgesamt deutlich mehr Truppen an den Hindukusch zu senden. Mindestens zwei zusätzliche Brigaden (10.000 Soldaten) sollen es sein, gleichzeitig will er aber “diese Verpflichtung dazu nutzen, um von den NATO-Verbündeten größere Beiträge – mit weniger Einschränkungen – einzufordern.”[16]
Mit diesen “Einschränkungen” meint Obama die so genannten “caveats”, Sonderregeln, die den Truppen einzelner NATO-Länder detailliert vorgeben, unter welchen Umständen und wo sie in Afghanistan Gewalt anwenden dürfen. Sie verbieten es etwa der Bundeswehr, sich im umkämpften Süden und Osten zu betätigen. Somit ist Obamas Aussage nicht zuletzt an die Adresse der Bundesregierung gerichtet. Sie soll nicht nur mehr Truppen entsenden, sondern diese auch ohne Einschränkung und mit allen Mitteln im gesamten Kampfgebiet einsetzen. Nicht nur in dieser Frage dürfte Obama Druck auf die Verbündeten ausüben, die Vereinigten Staaten stärker als bisher zu entlasten.
Neue Transatlantische Partnerschaft: Re-Vitalisierung der NATO
Nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise hat sich die Lage für die USA auch wirtschaftlich deutlich zugespitzt. So belief sich das US-Handelsbilanzdefizit 2007 auf gigantische $700 Mrd. und die Staatsverschuldung stieg in diesem Jahr erstmals auf über $10 Billionen (rechnet man die Deckungslücke der sozialen Sicherungssysteme hinzu, so steigt diese Zahl nach Angaben des US-Finanzministeriums auf über $50 Billionen).[17] Kurz: Die einzige Weltmacht pfeift – ökonomisch wie militärisch - auf dem letzten Loch und es ist auch den US-Eliten klar, dass ein Strategiewechsel dringend erforderlich ist.
Es steht deshalb zu erwarten, dass Obama von den EU-Ländern einen deutlich größeren militärischen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Weltordnung einfordern wird. Denn aufgrund der oben beschriebenen schweren wirtschaftlichen Probleme sind die Vereinigten Staaten dringend darauf angewiesen, die Lasten für die Aufrechterhaltung der westlich dominierten Weltordnung auf mehr Schultern zu verteilen. Die Europäische Union, die ebenso von diesem System profitiert wie die Vereinigten Staaten, ist hierfür der natürliche Adressat.[18]
Ein solches “Burden Sharing” dürfte jedoch nur gelingen, wenn dem – auch militärisch zunehmend untermauerten - Streben der Europäischen Union entsprochen wird, nicht mehr länger auf die Rolle als “Subunternehmer Amerikas” (Ernst-Otto Czempiel) reduziert zu werden. Nur über eine Aufwertung als gleichberechtigte Macht, dürften die EU-Staaten zu mehr Engagement zu bewegen sein. Um diese “Neue Transatlantische Partnerschaft” auf den Weg zu bringen, ist Barack Obama geradezu ideal geeignet. Er ist frei von dem Makel der acht dunklen Jahre unter George W. Bush, unter dem die transatlantischen Beziehungen extrem gelitten haben und er erfreut sich einer Beliebtheit, die es den EU-Staaten einfacher machen könnte, gegenüber ihrer jeweiligen Bevölkerung höhere militärischen Beiträge zu rechtfertigen.
Der Umgang mit dem “Chaos in der Welt”, den Folgeerscheinungen der kapitalistischen Globalisierung sowie das Bestreben, die aufkommenden Mächte Russland und China auf die Plätze zu verweisen, könnte dabei der Kitt für die Neue Transatlantische Partnerschaft sein – ihren institutionellen Niederschlag würde sie in einer vitalisierten NATO finden. Vorschläge aus Obamas Beraterstab, die NATO zu einer wirklich “globalen Allianz der Demokratien” (selbstredend unter amerikanisch-europäischer Führung) zu machen[19], deuten ebenso in diese Richtung wie Signale von der anderen Seite des Atlantiks. So kommentierte der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber Obamas Rede im Juli 2008 in Berlin mit folgenden Worten: “Die deutsche Politik wird sich aber auch mit seiner Forderung auseinandersetzen müssen, mehr gemeinsame Verantwortung für globale Probleme in der Welt zu übernehmen. Amerika setzt auf Deutschland und Europa. Die transatlantische Brücke wird stärker.”[20]
Die Forderung Obamas nach einer größeren Truppenbeteiligung in Afghanistan könnte so im schlimmsten Fall nur der Prolog für eine deutlich stärkere militärische Involvierung Deutschlands und der Europäischen Union bei der Administration der Weltordnung sein. Wohin die Reise gehen könnte, zeigt ein Vorschlag aus den Reihen des wichtigsten demokratischen Think Tanks, der “Brookings Institution”, der für den Aufbau einer stehenden amerikanisch-europäischen “Stabilisierungstruppe” im Umfang von 600.000 Soldaten plädierte. Da die gegenwärtige Ordnung an allen Ecken und Enden brüchig wird, bestünde die Notwendigkeit und das gemeinsame Interesse, deren Konflikte militärisch zu “stabilisieren”. Die Begründung: “In einer Welt, die im Wesentlichen von den Industriedemokratien am Laufen gehalten und dominiert wird, wird ein anhaltendes Versagen, solchen Konflikten zu begegnen, nicht nur ihre moralische Integrität schwächen, sondern ihre internationale Legitimität als globale Führer untergraben.”[21]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Joseph Bidens Vorwort in Young, Stephen W.: Pushing the Limits, Coalition to Reduce Nuclear Danger, Washington D.C. 2000.
[2] Vgl. Strategic Leadership: A Framework for a 21st Century National Security Strategy, Center for a New American Century, July 2008, S. 5.
[3] Biden, Joseph/Geld, Leslie: Unity Through Autonomy in Iraq. New York Times, 01.05.2006.
[4] Biden-Gelp Plan Emerges as Leading Option for Moving Forward in Iraq, URL:
http://biden.senate.gov/press/press_kit/downloads/BIDEN-GELB%20EMERGES%20_9-20-07.pdf
/>
[5] Obama’s Remarks on Iraq and Afghanistan, New York Times, 15.07.2008.
[6] Escobar, Pepe: Obama’s brave (new?) world, Asia Times Online, 17.06.2008.
[7] Baehr, Richard/Lasky, Ed:: Samantha Power and Obama’s Foreign Policy Team, American Thinker, 19.02.2008, URL: http://www.americanthinker.com/2008/02/samantha_power_and_obamas_fore_1.html
[8] “Dies ist der Moment”. Obamas Rede im Wortlaut, süddeutsche.de, 24.07.2008.
[9] McFaul, Michael, The Liberty Doctrine, in: Policy Review, April-May 2002.
[10] Bandow, Doug: Presidential Hawks, Left and Right, antiwar.com, 29.06.2008.
[11] Ebd.
[12] Strategic Leadership 2008, S. 16.
[13] Griffin, Webster: Obama - The Postmodern Coup: Making of a Manchurian Candidate by Webster Griffin, URL: http://tinyurl.com/5r4rgk
[14] “Russlands Vorgehen ähnelt dem von Hitler”, Die Welt, 11.08.2008. Ebenfalls in sein Team geholt hat Obama Brzezinskis Sohn Mark, der seinem Vater hinsichtlich dessen Russophobie in nichts nachsteht.
[15] Should Moscow Root for Obama?, CDI Russia List, 21.03.2008.
[16] Obama’s Remarks on Iraq and Afghanistan, New York Times, 15.07.2008.
[17] Während sich dieses Handelsbilanzdefizit 1992 noch auf vergleichsweise harmlose $39 Mrd. belief, stieg es schon während der Amtszeit Bill Clintons bedrohlich auf $379,835 Mrd. im Jahr 2000. Unter George W. Bush setzte man schließlich jährlich zu neuen “Höhenflügen” an. Da diese Lücke zwischen Importen und Exporten primär in Form von Schuldscheinen (Staatsanleihen) gedeckt wird, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich der US-Schuldenberg analog zum Handelsbilanzdefizit entwickelte. Washingtons Verbindlichkeiten haben sich seit 1992 (ca $4 Billionen) ebenfalls mehr als verdoppelt.
[18] Im Dokument Strategic Leadership 2008 wird eindeutig der Zusammenhang zwischen dem nicht länger aufrecht zu erhaltenden Defizit und der Notwendigkeit zur Lastenverteilung hergestellt.
[19] Daalder, Ivo/Goldgeier, James: Global NATO, Foreign Affairs, September/October 2006.
[20] “Starke und mutige Botschaft”, Spiegel Online, 24.07.2008.
[21] O’Hanlon, Michael/Singer, Peter: The Humanitarian Transformation, in: Survival, Vol. 46, Issue 1, (Spring 2004), S. 77f.
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