Über dem Bundesverfassungsgericht ist nicht Schluss – es folgt die Pflicht zum Recht

Rubrik: ARTIKEL 20 Absatz 4 - Widerstandsrecht von admin am 11. Jul. 2007

Kommentar zum Tornado-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Von Rainer Rothe, Rechtsanwalt, Radolfzell am Bodensee
Zeit-Fragen.ch

a20a4nachfolge.jpgAuch wenn vielerorts zu Recht die zu starke Einbindung Deutschlands und anderer europäischer Staaten in internationale Organisationen wegen des damit einhergehenden Verlustes an nationaler Selbständigkeit und Souveränität kritisiert wird: Deutschland und dessen damalige Kriegsverbrecher sind bereits zweimal Beispiel für die Anwendung überstaatlicher internationaler Grundsätze des Menschen- und Völkerrechts in gerichtlichen Tribunalen des Weltrechts nach den beiden Weltkriegen geworden.
Heute findet die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofes bereits dann Anwendung, wenn die nationale Gerichtsbarkeit dem völkerrechtlich verpflichtenden Friedensgebot – wie nun offenbar auch das Bundesverfassungsgericht – nicht gerecht wird. Dabei sieht Art. 25 GG ausdrücklich vor, dass das internationale Strafrecht Bestandteil des deutschen Verfassungsrechts ist:

«Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets.» Abgesehen davon hat Deutschland das Statut des Internationalen Gerichtshofes ratifiziert. Wir erleben leider nicht zum ersten Mal, dass unser höchstes nationales Gericht in wichtigen Menschheitsfragen pflichtwidrig versagt und keinen Rechtsschutz mehr gibt (vgl. Schachtschneider, Rechtsprechung im Parteienstaat, Verfassungsrechtsprechung, in: «Prinzipien des Rechtsstaates», 2006, S. 187ff.).
An dieser Stelle sei an fünf Dinge erinnert:
1. Die Schweiz als direktdemokratische Konsensdemokratie hat aus Prinzip kein dem Bundesverfassungsgericht vergleichbares oberstes Gericht. Über dem Willen des Volkes, auch wenn es einmal irrt und dafür selbst die Verantwortung zu tragen hat, kann es ausser Gott keine weitere Macht geben.
2. Die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts ist dem US-Supreme Court nachgebildet. Seine Abschaffung wird immer wieder in Deutschland diskutiert. Zumal es sich sogar über das Parlament stellen kann, indem seine Urteilssprüche und die das Urteil tragenden Sätze Gesetzes charakter haben.
3. Das Bundesverfassungsgericht kann den demokratischen Prozess und das Handeln der Zivilgesellschaft nicht ersetzen. Jeder Bürger ist nach der deutschen Verfassung berechtigt und verpflichtet, für die Erhaltung des Rechts einzutreten. Damit erkennt das Grundgesetz letztlich (nicht nur mit Bezug auf Art. 20 Abs. 4 GG) ausdrücklich an, dass – wie in der Schweiz – über dem entschlossenen Bürgerwillen kein (weltliches) Gericht stehen kann.
4. Menschenrecht und Völkerrecht sind überstaatlich und universell. Dies wurde auch schon mehrfach vor dem Bestehen des Internationalen Strafgerichtshofs praktiziert. Die mit diesen Weltrechtsprinzipien nicht zu vereinbarende Rechtsprechung auch höchster nationaler Gerichte stellt im nachhinein keinen Rechtfertigungsgrund dar.
5. Nicht nur nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes ist jeder Bürger eines Staates verantwortlich und kann sich strafbar machen. Strafrechtlich kann auch ein Unterlassen zur Verurteilung führen.
Ich habe in früheren Artikeln in Zeit-Fragen (vgl. zum Beispiel «Beteiligung deutscher Truppen am Isaf-Einsatz völker- und verfassungsrechtswidrig») dargelegt, dass die derzeitige Aussenpolitik der Bundesregierung mit militärischen Mitteln weder nach nationalem noch nach internationalem Recht, auch nicht auf Grund § 5 des Nato-Vertrages (Beistandspflicht) weder in bezug auf den Einsatz in Afghanistan, in Kosovo oder andere sogenannte Auslandeinsätze gerechtfertigt ist. Damit wird gegen die verfassungsrechtliche Verpflichtung zum Friedensgebot (vgl. Prof. Dieter Lutz, Krieg ist das Versagen der Politik – Frieden das Meisterwerk der Vernunft, in Christmann / Lutz, «Die Zerstörung der Vernunft in Zeiten des Krieges – Zum Demokratieverlust nach 1989», 2000; S. 121, 123) und dem völkerrechtlichen Versprechen an Russ land (damals noch UdSSR) bei der Wiedervereinigung, die Nato werde sich nicht in die Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes ausdehnen (siehe Interview mit Ulrich Klose im Deutschlandfunk am 15. Mai, ebenfalls veröffentlicht in Zeit-Fragen, Nr. 20 vom 21. Mai) verstossen:
«Nach Art. 26 Abs. 1 GG genügt bereits die blosse ‹Eignung›. Es muss also nicht faktisch gestört werden oder worden sein – blosse abstrakte Gefährdung genügt. Das Verbot der Friedensstörung und des Angriffskriegs ist also in Wahrheit ein Verbot der abstrakten Friedensgefährdung.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Art. 26 GG schliesst militärische Verteidigung oder militärischen Beistand nicht aus. Er errichtet aber – zu Recht, wie ich meine – mit Blick auf die Vergangenheit eine hohe Messlatte. Angriff und Verteidigung müssen zweifelsfrei sein. Er begründet ferner in der Zusammenschau mit zahlreichen anderen Normen der Verfassung ein Friedensgebot, das – wie bereits betont – dem Grundgesetz einen weltweit einmaligen Charakter verleiht.»
Prof. Dieter Lutz, Krieg ist das Versagen der Politik – Frieden das Meisterwerk der Vernunft, in Christmann / Lutz, Die Zerstörung der Vernunft in Zeiten des Krieges – Zum Demokratieverlust nach 1989, 2000; S. 123
Einen – auch noch zweifelsfreien – Angriff Afghanistans auf die USA stellen auch die Anschläge vom 11. September 2001 nicht dar.
Die verfassungs- und völkerrechtlichen Grundsätze des Friedensgebotes (wie sie auch vom Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Juni 2005, NJW 2006, S. 77ff. (Pfaff-Entscheidung) in bezug auf den Irak-Krieg zusammengefasst worden sind) gelten und sind politisch umzusetzen.
Es ist weder die Aufgabe der Gerichte, Poli tik zu machen noch die politische Willensbildung zu verkürzen. Gerichtliche Interpretationen hindern die Bürger nicht, sondern – zumal wenn sie falsch sind – verpflichten sie, eine politische Auseinandersetzung zu führen und alle Kriege sofort zu beenden.
Das Bundesverfassungsgericht unterliegt bei seiner Interpretation einem grundsätzlichen tatsächlichen Fehler (falscher Sachverhalt): Es geht – unzutreffend – davon aus, der Isaf-Einsatz und die «Operation Enduring Freedom» hätten nicht nur getrennte Zwecksetzungen, sondern es käme auch zu keinen Überschneidungen.
Zu Recht weist dagegen die klagende Linksfraktion in ihrer Pressemitteilung vom 3. Juli darauf hin, dass de facto in der Praxis auf afghanischem Boden längst eine gemeinsame Kriegsführungsstrategie von Isaf und «Operation Enduring Freedom» besteht. Wie der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu entnehmen ist, fliegen die Tornado-Flugzeuge auch im Süden und Osten Afghanistans längst mit und sammeln im Vorfeld von Operationen Informationen. Isaf und «Operation Enduring Freedom» unterstützen sich gegenseitig bei offensiven Kampfoperationen und nehmen beide Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf.
Das Bundesverfassungsgericht hält ausdrücklich fest:
«Rechtlich muss aber der Isaf-Einsatz strikt getrennt betrachtet werden von der ebenfalls in Afghanistan präsenten Operation Enduring Freedom.» (BVerfG, 2 BvE 2=07 vom 3.7.2007, Abs. Nr. 57)
Bezüglich der «Operation Enduring Freedom» gibt das Bundesverfassungsgericht kommentarlos – ohne eigene Aussage – wieder, auf welche Rechtskonstruktionen die USA und die Nato sowie der Bundestag sich beziehen (vgl. zum Beispiel BVerfG, 2 BvE 2=07 vom 3. Juli, Abs. Nr. 63). Hier wäre das Gericht angesichts der Bedeutung verpflichtet gewesen, die Völkerrechtswidrigkeit festzustellen; zumal das Gericht selbst die Möglichkeit von Völkerrechtsverletzungen durch die «Operation Enduring Freedom» einräumt (BVerfG, 2 BvE 2=07 vom 3. Juli, Abs. Nr. 86), meint aber – unzutreffend –, darauf nicht näher eingehen zu müssen (BVerfG a.a.O, Abs. Nr. 87).
Ich kann mich nur der Feststellung der antragstellenden Fraktion anschliessen, dass dieses Urteil gerade keine Rechtfertigung für die Beteiligung der Bundeswehr an der völkerrechtswidrigen Kriegsführung liefert und es nun um so mehr auf die politische Forderung zur Beendigung dieses Krieges, wie aller Kriege, ankommt.

Quelle: Zeit-Fragen.ch

Art. 5 Abs. 1 Rome Statue of the International Criminal Court

«Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ist auf die schwersten Verbrechen beschränkt, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs erstreckt sich in Übereinstimmung mit diesem Statut auf folgende Verbrechen:
a) das Verbrechen des Völkermords;
b) Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
c) Kriegsverbrechen;
d) das Verbrechen der Aggression.»


Art. 2 Abs 3 und 4 UN-Charta

«[…]
3. Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.
4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt. […]»

Art. 26 GG (Verbot des Angriffskrieges)

«Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen […].»


Art. 87 a (Aufstellung und Einsatz der Streitkräfte)

«Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. […] Ausser zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich erlaubt.»
Aktuell wurde dieses verbindliche Gebot deutscher Aussenpolitik in Art. 2 des «Zwei-plus-vier-Vertrages» bekräftigt:
«Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.»


Art. 11 Abs. 1 und 3 EUV

«Die Union […] [hat] folgendes Ziel: die Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit entsprechend den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen sowie den Prinzipien der Schlussakte von Helsinki und den Zielen der Charta von Paris, einschliesslich derjenigen, welche die Aussengrenzen betreffen.»

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