Menschenopfer unverzichtbar

KABUL/BERLIN/GÃœTERSLOH
karzai01.jpgUngeachtet der für heute angekündigten Ermordung deutscher Geiseln will die Bundesregierung “Härte” zeigen. Es sei “das richtige Signal”, die von den Entführern erhobene Forderung nach Abzug der deutschen Afghanistan-Truppen negativ zu bescheiden, erklärte die deutsche Kanzlerin am gestrigen Montag. Etwaige Konsequenzen für das Leben der Geiseln nannte Frau Merkel “bitter”, aber unvermeidbar, da sich Berlin “nicht erpressen lassen” werde. Auch der Präsident der afghanischen Zwangsverwaltung, Karzai, riet in Berlin zu einem unnachgiebigen Besatzungskurs, der durch zusätzliche ausländische Militärhilfe effizienter gemacht werden müsse. Deutschland soll sein “Engagement” fortsetzen, auch wenn dies “nicht billig” komme, ergänzte der Außenminister des Kabuler Regimes. Zum deutschen Engagement in Afghanistan gehört ein Verbindungsbüro der Heinrich-Böll-Stiftung.

Dessen Leiter ist Teil eines Netzwerks, das “Transformation Thinkers” fördert und von der bundeseigenen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) sowie vom Medienkonzern Bertelsmann betrieben wird. Auch im Irak verfügt das Netz über entsprechende Verbindungen. Die “Transformation Thinkers” sind Angehörige der Eliten aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie sollen in ihren Heimatstaaten für weltmarktkonforme Nationalökonomien mit enger Anbindung an die westlichen Metropolen sorgen. Orientierungsmaßstab ist ein von Bertelsmann entwickelter “Transformation Index”, der die Welt in “Reformstaaten” und sogenannte “Modernisierungsverweigerer” teilt.

Dasein verwirkt
Wie die deutsche Kanzlerin am gestrigen Montag erklärte, wird die Bundesregierung an der militärischen Besatzung Afghanistans festhalten und zusätzliches Zivilpersonal in das zentralasiatische Land entsenden. Die Wirtschaftsaktivitäten deutscher Unternehmen müssten ausgeweitet werden, erklärte Frau Merkel.[1] Weder der Mord an einem Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe [2] noch die drohende Tötung zweier deutscher Geiseln im Irak [3] stünden dem entgegen - Deutschland sei “nicht erpressbar”, heißt es unisono in Berlin. Die Behauptung ist falsch, da sich das Auswärtige Amt in mittelbaren Verhandlungen mit den Erpressern befindet und auch einen Preis zu zahlen bereit ist. Strittig und Gegenstand der durch Erpressung herbeigeführten Verhandlungen ist lediglich die Höhe der Auslösesumme. Berlin ist - wie in vergangenen Fällen - zu Geldleistungen bereit, bindet das Leben der Geiseln also an einen Preis. Unterschreitet dieser Preis die politischen und materiellen Kosten des Abzugs deutscher Truppen aus Afghanistan, dürfen die Geiseln überleben. Andernfalls haben sie ihr Dasein verwirkt, lautet die Botschaft der deutschen Außenpolitik.

Willkommen
“Ich bin voll und ganz der gleichen Meinung”, ergänzte der Präsident der afghanischen Zwangsverwaltung, Hamid Karzai, die außenpolitischen Äußerungen der deutschen Kanzlerin.[4] Karzai traf am gestrigen Montag zu Gesprächen in Berlin ein, nachdem er in der bundesrepublikanischen Provinz einen Operettenpreis entgegennehmen durfte. Er werde “auf jeden Fall alles willkommen heißen, was die Deutschen zum Wiederaufbau und zur Sicherheit Afghanistans zu tun bereit sind”, bestätigte Karzai den Auftragscharakter des Kabuler Regimes.

Transformation Thinkers
An dem von Karzai beworbenen “Wiederaufbau” in Afghanistan und im Irak beteiligt sich auch der deutsche Medienkonzern Bertelsmann. Einem von der Konzernstiftung [5] und der bundeseigenen “Gesellschaft für technische Zusammenarbeit” (GTZ) [6] initiierten Netzwerk sogenannter “Transformation Thinkers” gehören Regierungsberater aus beiden Ländern an. Dabei handelt es sich um den Iraker Musab Alkateeb und um den Afghanen Masood Karokhail. Alkateeb reorganisierte nach dem Irak-Ãœberfall der US-geführten Truppen zunächst das dortige Handelsministerium. Heute berät er im Auftrag der US-Agentur USAID den irakischen Marionetten-Premier Nuri al-Maliki in Wirtschaftsfragen. Karokhail, ehemals Afghanistan-Manager des niederländischen Nahrungsmittelkonzerns Unilever, leitet ein Verbindungsbüro der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung in der Provinz Paktia. Dessen Aufgabe besteht darin, “die afghanische Regierung sowie Entwicklungsorganisationen mit örtlichen Stammesführern in Kontakt (zu) bringen”.[7]

Strategisches Denken
Die “Transformation Thinkers”, zu denen Alkateeb und Karokhail zählen, werden von Bertelsmann als “junge Entscheidungsträger” und “Führungsnachwuchs” umworben. Sie bilden ein “globales Netzwerk”, stehen “untereinander in Kontakt” und halten regelmäßig gemeinsame Treffen ab. Die letzte Zusammenkunft fand im vergangenen November in der Berliner GTZ-Niederlassung statt.[8] Bei den Treffen vermitteln ausgewählte Experten den “Transformation Thinkers” “strategisches Denken” [9] - offenbar mit Erfolg. Alkateeb lobte kürzlich die Ãœbernahme der irakischen Wirtschaft durch westliche Konzerne und bemängelte, dass deutsche Unternehmen im Irak lediglich als “Subunternehmer amerikanischer und multinationaler Firmen” in Erscheinung träten, anstatt “mehr Präsenz” zu zeigen.[10] Karokhail forderte, die NATO-Truppen müssten in Afghanistan hart gegen Aufständische und Mohnproduzenten “durchgreifen”.[11]

Transformationsverweigerer
Damit liegen die beiden “Transformation Thinkers” ganz auf der Linie der Bertelsmann-Stiftung. Der von ihr entwickelte “Bertelsmann Transformation Index” (BTI) beurteilt die Fähigkeit und Bereitschaft der Eliten in Entwicklungs- und Schwellenländern, die dortigen Nationalökonomien gemäß den westlichen Vorstellungen umzugestalten. Vorrangiges Ziel ist dabei laut Bertelsmann die Durchsetzung des Privateigentums als zentralem “Kriterium der Markt- und Wettbewerbsordnung” und die Ausschaltung etwaiger Widerstände (”Vetoakteure”). Staaten, die in diesem Sinne nicht als “glaubwürdige und verlässliche Partner” des Westens handeln, werden als “Transformationsverweigerer” tituliert. Wie Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung und Direktor des Münchener “Centrums für angewandte Politikforschung” (CAP), formuliert, reiche deren “harter Kern” von “Nordkorea über zahlreiche arabische Staaten bis Simbabwe oder Kuba”.[12]

Lernen
Die Bertelsmann-Stiftung droht den genannten Ländern, zu denen sie auch mehrere Nachfolgestaaten der Sowjetunion zählt (”ressourcenreiche Transformationsverweigerer”), offen mit “externe(m) Druck”. Dies habe, heißt es im Bericht über den “Bertelsmann Transformation Index 2006″, im Falle Nicaraguas “einen Prozess des institutionellen Lernens ausgelöst”.[13] Nach dem Sieg der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) über den Militärdiktator Somoza 1979 hatten von den USA finanzierte Terrorbanden (”Contras”) Nicaragua zehn Jahre lang mit Bürgerkrieg überzogen. Am Ende musste die FSLN-Regierung abtreten; die von ihr eingeleiteten Sozialreformen wie die Verstaatlichung von Industriebetrieben und die Aufteilung des Großgrundbesitzes wurden seither sukzessive rückgängig gemacht.

Traditionen brechen

Bei der weltweiten Durchsetzung prowestlich-neoliberaler Wirtschaftsordnungen kommt dem von US-geführten Truppen besetzten Irak laut Bertelsmann eine Schlüsselrolle zu. “Ein Scheitern der Transformation im Irak würde nachhaltig alle weiteren Transformationsbemühungen weltweit beeinträchtigen”, urteilt die Konzernstiftung: “Nationale Eliten würden darin einen Anreiz sehen, sich gegen externe Auflagen zu stemmen.” Notwendig sei daher die “Rekrutierung einer neuen Führungsschicht”; nur eine solche könne die “Tradition der Aneignung und Umverteilung der Ölrente” brechen und die Gewinne aus dem Erdölgeschäft westlichen Konzernen zuführen. “Internationale Unterstützungsmaßnahmen” sollen in diesem Zusammenhang “die Loyalität der irakischen Bevölkerung sicherstellen” und “soziale Verwerfungen” verhindern, verlangt Bertelsmann: “Eine Radikalkur wie im Chile Pinochets dürfte der Nachkriegsirak kaum verkraften.”[14] Der chilenische Militärdiktator Augusto Pinochet hatte 1973 den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende ermorden lassen und dem Land danach - gestützt auf innenpolitischen Terror - ein neoliberales Wirtschaftsregime oktroyiert. Deutsche Wirtschaftskreise, darunter der Chemiekonzern Hoechst, hatten seinerzeit Pinochets blutigem Putsch applaudiert.[15]

Kein Tabu
Die Neuordnungspläne aus dem Hause Bertelsmann reichen über den Irak hinaus. Um die “Glaubwürdigkeit des irakischen Transformationsprozesses” nicht zu “unterlaufen”, müsse “eine neuerliche Anstrengung zur Stabilisierung Afghanistans” unternommen werden, verlangt die Konzernstiftung. Ihre Interventionsforderungen durchbrechen letzte Schranken der deutschen Außenpolitik: “Auch die Option, Israel und Palästina zusammen unter UN-Protektorat zu stellen, darf angesichts des riskanten Prozesses im gesamten Nahen Osten kein Tabu sein.”[16]
Einkalkuliert
Die außenpolitische Radikalität, die aus solchen Vorschlägen spricht, lässt das deutsche Vorgehen in der Geiselaffäre verständlicher werden. Die weltweiten Herrschaftsentwürfe, mit denen Berlin dem Siegeszug seiner Wirtschaft folgt, machen Menschenopfer unverzichtbar. Selbst sollten die Geiseln gerettet werden können, sind zukünftige Tote einkalkuliert.

[1] s. dazu Auf den Trümmern des Krieges, Hundert Prozent und Deutsche Hilfe
[2] s. dazu Fünfhundert Ziele
[3] s. dazu Tödliches Versprechen und Ende im Grab
[4] Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai am 19. März 2007 in Berlin
[5] s. auch European Way of Life, Höchste Ambitionen, An Russland vorbei und Thomas Barth (Hg.): Bertelsmann
[6] s. auch Schlüsselpositionen, Straßenbau und Eigentum verpflichtet
[7] “Wir brauchen mehr Austausch zwischen Gebern und afghanischer Bevölkerung.” Interview mit Masood Karokhail; E + Z Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 7/2005
[8] Auftakt zu einem globalen Netzwerk. 25 Transformation Thinkers aus 23 Ländern treffen sich in Berlin; www.gtz.de/de/17885.htm
[9] Transformation Thinkers; www.bertelsmann-transformation-index.de
[10] “Deutsche müssen mehr Präsenz zeigen”; Berliner Zeitung 14.11.2006
[11] “Wir brauchen mehr Austausch zwischen Gebern und afghanischer Bevölkerung.” Interview mit Masood Karokhail; E + Z Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 7/2005
[12], [13] Bertelsmann-Stiftung: Bertelsmann Transformation Index 2006. Politische Gestaltung im internationalen Vergleich, Gütersloh 2005
[14] Peter Thiery: Eine Nachkriegsordnung für den Irak. Leitlinien einer nachhaltigen Transformationsstrategie, Papier der Bertelsmann-Stiftung und des CAP, April 2003
[15] s. auch Siegeskreuz
[16] Peter Thiery: Eine Nachkriegsordnung für den Irak. Leitlinien einer nachhaltigen Transformationsstrategie, Papier der Bertelsmann-Stiftung und des CAP, April 2003

Quelle 

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