“Ich hab’s mir nicht ausgesucht”

Von Jens Wernicke

Ergebnisbericht einer Studie zu den Auswirkungen von Hartz IV auf die Betroffenen

arbeit_macht_frei.jpgVon Ende März bis Ende September 2006 hat die Sozialwissenschaftlerin Anne Ames (1) im Auftrag des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung (2) (ZGV) der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau eine Fragebogenerhebung bei Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II (ALG II) durchgeführt. Ziel der Erhebung war es, die Umsetzung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und deren Auswirkungen aus der Sicht und dem Erleben der Betroffenen zu erkunden.
Der Ergebnisbericht (3) liegt nun unter dem Titel “Ich hab es mir nicht ausgesucht” vor. Bereits an zweiter Stelle der am schwersten erlebten Entbehrungen der Betroffenen, so eins der zentralen Ergebnisse, “steht (…) (dabei) die Ernährung. Offenbar sparen sich viele (…) die Ausgaben für Dinge, die im Regelsatz nicht vorgesehen sind - etwa eine Monatskarte für den Stadtverkehr, das Abonnement einer Tageszeitung, Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke - buchstäblich vom Munde ab”. (mehr…)

Tödliches Copyright

Von Andreas Henrichs

Von der rigorosen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte und einem verschärften Patentschutz bei Arzneimitteln profitieren vor allem Pharmaunternehmen aus den reichen Industrienationen. Auf der Strecke bleiben dabei arme Patienten in den Entwicklungs- und Schwellenländern

aids.jpgNach Angaben (1) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Immunschwächekrankheit HIV/AIDS weltweit die vierthäufigste Todesursache. Von den über 40 Millionen infizierten Menschen werden 75% nicht oder nicht ausreichend medikamentös behandelt. Dies betrifft alleine im südlichen Afrika 1,8 Milionen HIV-infizierte Kinder , deren Angehörige sich die teuren Orginalmedikamente der renommierten Pharmakonzerne nicht leisten können, da ihr Preis durch die enthaltenen Patent- und Lizenzgebühren ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten bei weitem übersteigt. Die Aids-Mittel der ersten Generation sind zwar noch als sogenannte Generika, dh. preiswerte, chemisch und biologisch exakte Nachbauten der Orginalpräparate erhältlich, aber namenhafte Arzneimittelhersteller gehen juristisch gegen die Produzenten der lebensrettenden generischen Medikamente vor und weigern sich die neueren antiretroviralen Pharmazeutika der zweiten Generation auch armen Patienten zugänglich zu machen.
Seit Unterzeichnung des WTO-Abkommens über handelsbezogene geistige Eigentumsrechte (TRIPS) im Jahr 1994 überziehen Interessenverbände der Copyright-Industrien die Öffentlichkeit mit immer neuen Kampagnen zur “Verteidigung der Autorenrechte” und dem “Schutz des geistigen Eigentums”. Ziel dieser PR-Offensive ist die Schaffung eine gesellschaftlichen Klimas, in dem das Kopieren einer Musik-CD genauso selbstverständlich als Straftat – und damit als unmoralisch - bewertet wird, wie z. B. die legale Produktion eines patentrechtlich geschützten Medikaments unter einer staatlich angeordneten Zwangslizenz. Das unermüdliche Werben um die ständige Verschärfung der Urheber- und Patentrechte fällt bei vielen Regierungen der reichen Industrienationen auf fruchtbaren Boden. Die negativen Folgen dieser Politik für die Grundversorgung vieler Entwicklungsländer mit bezahlbaren, nicht gentechnisch veränderten Grundnahrungsmitteln oder preiswerten Medikamenten finden in der öffentlichen Diskussion jedoch kaum Beachtung. Die Abschlusserklärung (2) des kürzlich zuende gegangenen G-8 Gipfeltreffens in Heiligendamm erscheint in dieser Hinsicht paradigmatisch. Zu dem Thema Patentrecht heißt es dort:

“Ein voll funktionierendes System des geistigen Eigentums ist ein wesentlicher Faktor für die nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft durch die Förderung von Innovation. Wir wissen wie wichtig es ist, das internationale Patentsystem zu straffen und zu harmonisieren, um den Erwerb und Schutz von Patentrechten weltweit zu verbessern.” (mehr…)

Eine Nummer ist auch nur ein Mensch

Von Heribert Prantl

002.jpgJeder Deutsche wird demnächst eine elfstellige Nummer erhalten - so sieht es das neue Lohnsteuergesetz vor, das das Kabinett beschließen will. Datenschützer sehen darin eine Zäsur in der deutschen Datenschutzgeschichte. In diesen Wochen wird jeder Mensch in Deutschland einen Brief erhalten. In diesem Brief steht sein neuer Name. Diesen Namen hat er nicht geerbt; und weder er noch seine Eltern haben ihn sich ausgedacht. Der Staat hat ihm diesen Namen zugeteilt.
001.jpgDer neue Name besteht aus elf Ziffern; und diese Ziffern werden so wichtig sein, dass der alte Name immer weniger interessiert. Der neue Name wird die Basis der Existenz, der alte zur Zierde. Ohne den neuen Namen wird man kein Konto eröffnen, keinen Handyvertrag schließen, sich nicht für die Volkshochschule anmelden und sich nicht ins Internetforum einloggen können. (mehr…)

Muss man nicht Krieg führen gegen solche Ungeheuer?

KOSOVO, IRAK, AFGHANISTAN, SUDAN
Am Gängelband unserer Gefühle betreibt man Politik

Von Eugen Drewermann

totaler-krieg.jpgFür die westlichen Staaten wird der asymmetrische Krieg, wie sie ihn im Irak und Afghanistan und möglicherweise bald im Sudan führen, zur Spirale ohne Ende. Mit dem größten militärischen Übergewicht lassen sich Anschläge und Entführungen nicht verhindern. Die Antwort darauf sind Durchhalteparolen und eine Vergrößerung des militärischen Übergewichts. Der Gegner stellt sich darauf ein. Er tut das mit keinem vom Irrsinn verzerrten Blick, sondern im Bewusstsein der Möglichkeiten, diesen Krieg als seinen Krieg fortzusetzen.
Die Bewahrung des Menschen konzentriert sich wie im Brennglas in einem einzigen Konflikt, dessen Wort heißt: Krieg! Ein Albtraum, mitgeschleppt aus den Tagen der Vorzeit; eine Ãœberlebensnotwendigkeit im Schlachthaus der eigenen Epigenese zur Evolution der Spezies homo sapiens; ein Versuch, Reviere zu verteidigen, jagbares Wild zu erbeuten, Wasserstellen zu halten zum Schutz einer begrenzten Zahl heranwachsender Kinder und gebärtüchtiger Frauen; Männerwerk; Gruppenpsychologie. Das alles mag einmal einen Sinn gehabt haben. In unseren Tagen ist es nichts weiter, als der Ausweis einer noch nicht überwundenen Barbarei.  (mehr …)

Der Demokrat der Stunde: Eugen Drewermann

 Eugen Drewermann (* 20. Juni 1940 in Bergkamen bei Dortmund) ist ein deutscher Theologe, Psychoanalytiker, Schriftsteller und ein bekannter Vertreter der sogenannten tiefenpsychologischen Exegese.

drewermann.jpgIn der Wochenzeitung Freitag bezieht er immer wieder Stellung zu existentiellen Fragen. Drewermann ist gelegentlich Gast in Fernseh-Talkshows und wird zu Vorträgen überall im deutschsprachigen Raum eingeladen. Seine Wirkung auf viele Menschen geht, wie selbst Kritiker einräumen, nicht zuletzt von einer charismatischen Redebegabung aus, die weniger in oft hektischen Talkshows als vielmehr bei Vorträgen spürbar wird. Mit eindringlich-sanfter Stimme, die von einigen als monoton bezeichnet wird, vermag er über Stunden ohne Manuskript nahezu fehlerlos wie in Schriftsprache vor großem, ihm gebannt lauschenden Publikum zu sprechen. Dabei meidet er Alltagsjargon ebenso wie abgegriffene Redewendungen, so dass seine Sprache durchweg auf hoher Stilebene angesiedelt ist.
Die Vorträge sind zudem klar gegliedert und enthalten eine Fülle von Beispielen aus der Literatur- und Philosophiegeschichte, Naturwissenschaft und Politik. In seiner Tätigkeit als Seelsorger, etwa mit Depressiven, meidet Drewermann “theologische Trostformeln”, die zum Grundbestand der christlichen Dogmatik gehörten, für den Kranken allerdings “religiöse Sprüche” seien. Auch würden sie der Freiheit des Menschen in seiner jeweiligen Notlage nicht gerecht. Statt von der “Vergebung der Sünden”, dem Kreuzestod wie der Auferstehung Jesu, der Erlösung durch die Taufe zu sprechen oder die Beichte bei Schuldgefühlen anzuempfehlen, setzt er auf die Begleitung durch einen Psychoanalytiker. An ihm könne sich der Leidende aufrichten und so über einen großen Zeitraum Vertrauen zu sich selber aufbauen. Diese lange Wegstrecke sei wesentlich christlich, ja an der Bergpredigt orientiert. (mehr …)

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